Eingemeindungsdiskussion darf nicht erlahmen!

Auch wenn sich im Juni 1970 eine große Mehrheit der Altriper Bevölkerung gegen eine Eingemeindung in die Stadt Ludwigshafen ausgesprochen hat (siehe 91 Prozent gegen Eingemeindung), war das leidige Thema aber noch lange nicht vom Tisch. Aus diesem Grund fühlten sich die damaligen Beigeordneten Dr. Hermann Knauber und Wolfgang Schneider in Abwesenheit des Bürgermeisters Michael Marx dazu verpflichtet, am Donnerstag, 10. September 1970, im Nachrichtenblatt der Gemeinde Altrip (11. Jahrgang, Nummer 37) eine amtlichen Bekanntmachung mit dem Titel „Eingemeindungsdiskussion darf nicht erlahmen!“ zu veröffentlichen. Manch Argument in der Bekanntmachung ist auch heute immer noch aktuell …


AMTLICHE BEKANNTMACHUNG

Eingemeindungsdiskussion darf nicht erlahmen!

Auch die Stadt Mannheim möchte bisherige Landkreisgemeinden in das Stadtgebiet einverleiben! - So stand es wenigstens in letzter Zeit in der Tagespresse.
Zur weiteren Diskussionsbelebung in der Eingemeindungsfrage nimmt deshalb die Gemeindeverwaltung wie folgt Stellung:

Es ist notwendig und auch durch das Bundesbaugesetz vorgeschrieben, die Zukunft einer Gemeinde durch einen Entwicklungsplan zu bestimmen. Dies ist möglich, weil das Grundgesetz, die Gemeindeordnung und das Bundesbaugesetz den Gemeinden die Gebiets- und Planungseinheit als wesenseigenen Bestandteil des Selbstverwaltungsrechts garantieren. Der Begriff „Gemeinde“ wäre auch ohne das Gemeindegebiet, in dem sich die örtliche Gemeinschaft frei entfalten kann, nicht denkbar. Da sich jedoch keine Gemeinde isoliert sehen kann, gilt dieses kommunale Grundrecht nur mit dem Vorbehalt des Gesetzes. Aber der Gesetzgeber kann nicht gegenüber der natürlichen Vorrangigkeit der örtlichen Allzuständigkeit zur Hauptsache und die örtliche Selbstverwaltung zur Nebensache werden. Heutzutage wird so viel von dem gesellschaftlichen Anliegen der Raumplanung gesprochen. Nun ja, Raumplanung schön und gut - sie ist auch erforderlich. Nur sehen wir diese Probleme, in die auch das Stadt-Umland-Problem eingeht, in einer breiteren und komplexeren Perspektive.

Nachrichtenblatt der Gemeinde Altrip | 11. Jahrgang | Donnerstag, den 10. September 1970 | Nummer 37 | AMTLICHE BEKANNTMACHUNGEN | Eingemeindungsdiskussion darf nicht erlahmen! Entwicklung verläuft anders!
Seit 150 Jahren sind die Menschen in die Großstadt geflüchtet. Seit ca. 10 Jahren hat sich dieser Prozess jedoch umgekehrt. Die Gründe sind ja hinlänglich bekannt.
Die Stadt gelangt allmählich an eine Grenze, wo die Erscheinungen der Hochkonzentration die Lebensinteressen der Menschen gefährden. Die Industrie wandert an die Randzonen der Ballungsräume und die Menschen folgen ihr. Wären nicht über 1,8 Millionen ausländischer Arbeitnehmer im Lande, so wäre dieser Prozess noch deutlicher sichtbar. Der Bevölkerungszuwachs der deutschen Großstädte ist seit ca. 15 Jahren rückläufig; auch im vergangenen Jahr meldeten wiederum viele Großstädte einen Rückgang.
Man denke an das Verkehrschaos, das allmählich die Cities absterben lässt, an die Luftverschmutzung, an die optische und akustische Reizüberflutung und die vielerlei anderen krankhaften Erscheinungen der Hochkonzentration.

Großes Ziel wird durch die Großstädte gefährdet!
Aber auch das große Ziel, die Gesellschaft durch Eigentumsbildung zu konsolidieren, muss durch das Anhalten der Hochkonzentration gefährdet werden. Die schönste VEBA-Aktie kann ein Eigenheim nicht ersetzen. Alle Fachleute sind sich darüber einig, dass die große Stadt als Motor der Wirtschaft und als Umschlagplatz geistiger Werte nötig ist; aber Maß und Grenze einer Entwicklung sollten auch dort gesehen werden.

Beziehungen Stadt Umland sind wechselseitig!
Es wurde uns schon früher vorgehalten, dass die Stadt für uns Umländer viele Einrichtungen vorhalte, ohne dass wir dafür zahlen. Es ist aber eine einfache Wahrheit, dass ein wesentlicher Teil der Gewerbesteuer, die die Stadt erzielt, durch Einpendler aus der Umgebung erwirtschaftet wird. Es bedarf nicht erst eines Gutachtens, um einzusehen, dass die gegenwärtige Wirtschafts- und damit Steuerkraft der Stadt nur dann auch nur gehalten werden kann, wenn es gelingt, die Einpendler weiterhin an ihren Arbeitsplätzen in LU oder MA zu halten. Einen weiteren Steuerbeitrag zugunsten der Stadt leistet die Konsumtion, die das Umland in die Großstadt trägt. Es ist wohl nicht abwegig zu rechnen, wenn man sagt, dass etwa die Hälfte des Umsatzes der städtischen Kaufhäuser durch das Umland erzielt wird.
Ein Einpendler erzielt etwa 700,-- DM Gewerbesteuer jährlich!

Zielplan bedeutet Todesstoß für unsere Gemeinde
Der Entwicklungsschaden, den unsere Gemeinde durch eine Verwirklichung des Zielplanes erleidet, kann nicht quantifiziert werden; er steht im Vordergrund. Wir, die Gemeinde Altrip, wollen unseren Nachbarn gerne geben, was wir entbehren können. Teilhaftig wurden die Großstädter schon an unserer „Blauen Adria“ und an unserer Gemarkung mit ihren schönen Auwäldern.
Wir glauben, ein Recht darauf zu haben, dass man mit uns redet, bevor man Zielpläne erstellt, dass man mit uns redet, bevor man unsere Gemarkung und den Ort fremden Interessen opfert. Und noch immer hat uns bis zum heutigen Tag niemand gefragt, ob wir diesen Plan ertragen könnten und in welcher Weise ein Ausweg gefunden werden könne. Noch immer ist man uns schuldig zu sagen, weshalb ausgerechnet Altrip aus Gründen des „öffentlichen Wohls“ eingemeindet werden soll.

Wir sind leidenschaftlicher Anwalt unserer Gemeinde und werden auch weiterhin für das Recht unserer Gemeinde unerbittlich eintreten.
Wir sind keine Lokalfanatiker, die glauben, dass Altrip allein die Welt ausmache.

Wir sind aber auch kein brachliegender Acker, in dem andere nach Belieben ihre Blumen pflanzen können.

Wir sind keine Egozentriker. Wir glauben nur, verpflichtet zu sein, das vitale Interesse unserer Gemeinde zu wahren.

 Dr. Knauber, Hermann
1. Beigeordneter
 Wolfgang Schneider
2. Beigeordneter

(Jürgen Hajok | 2020)
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