Der letzte Altriper Leinenweber

Früher hatte nahezu jedes Dorf seine Leinenweber, die zugleich ihr „Material”, den Flachs, selbst anbauten. Der lehmige Boden im Altriper Rheinbogen ließ die wunderschöne Flachspflanze mit ihren blassblauen Blüten gut gedeihen.

Die Leinpflanze ist eine der ältesten Kulturpflanzen, deren Fasern von Menschen genutzt und über die Römer bis zu uns gebracht wurde. Über die Blütezeit des Leinenwebergewerbes gab es in Altrip rund 30 Berufsvertreter, darunter auch etliche Webermeister. Nach den Fischern waren die Weber zahlenmäßig das stärkste Gewerbe.

Mit Martin Hauk III., der im Jahr 1908 im Alter von 57 Jahren verstarb, ging zugleich das seit Anfang des 18. Jahrhunderts im Ort blühende Gewerbe der Leinenweber zu Ende. Als sich der erste Weber in Altrip niederließ, hatte der Ort nur rund 250 Seelen. Als 1875 der Leinenweber Philipp Hauk starb, zählte Altrip knapp 1.000 Einwohner.

Reinhold Schneider, ein „Abkömmling”, der die Verdienstmedaille des Landes Rheinland-Pfalz für seine heimatkundlichen Arbeiten erhielt, erzählte gern, dass seine Großmutter im Ort nur als „die Leinewewer-Lissett” bekannt war.

Während heutzutage die aus Leinen genähten Tischdecken, Servietten und Hemden sündhaft teuer sind, hatten früher selbst der ärmste Fischer oder Bauer im Ort genug von dem Stoff. Für die Altriper Fischer war Leinen geradezu ideal, da es nass noch widerstandsfähiger als trocken ist. Und nicht nur das: Leinen gibt auch die Feuchtigkeit wieder schnell ab.

Unter den „eingewanderten” Leinewebern gab es gar einen Schultheiß (Bürgermeister), der an Allerheiligen des Jahres 1824, bei dem seit Menschengedenken mit 9,43 Meter höchstem Hochwasser, die Rettungsmaßnahmen leitete.

Unter ständiger Lebensgefahr reparierte der in der „Franzosenzeit” ausgebildete Tisserand (Weber) zusammen mit allen Mannen des Dorfes die zerstörten Deiche. Sieben Tage lang stürzten durch den Druck der Wassermassen immer wieder Häuser und Scheunen ein. Das Geschlecht dieses wackeren Leinenwebers ist jedoch ausgestorben, denn er hatte nur drei Mädchen, von denen keines älter als sechs Jahre wurde.

Bis der Leinenweber seine eigentliche Arbeit beginnen konnte, musste der Flachs nach der Ernte erst einmal in Garben zusammengebunden und getrocknet werden. Als nächstes wurde er durch einen Kamm gezogen (geriffelt), um die Samenkörner abzustreifen. Sodann kam das Rösten, was allerdings nichts mit Feuer zu tun hatte. Die Altriper tauchten vielmehr die Pflanzen bis zu zwei Wochen in einen Tümpel und zogen sie erst wieder heraus, wenn die Stengel rissig wurden. Nun hieß es die Pflanze waschen und auf der Wiese zu trocknen. Erst nach dem Schwingen, bei dem die Fasern vom Stengel getrennt wurden und nach dem jeweils eine Handvoll Flachs durch ein Nagelbrett gezogen wurde, „Hecheln” genannt, konnte an das Spinnen gedacht werden. Und erst dann war der Leinenweber an der Reihe.

Die kurzen Fasern, die beim Hecheln übrigblieben, wurden als Werg, bei den Altripern hingegen als „Hede”, bezeichnet, für Matratzenfüllungen oder zum Abdichten der Ritzen in den Fischerkähnen genutzt. Das Ausstopfen mit Werg, das Kalfatern, hatte auch große Bedeutung bei dem alten Rheinfährbetrieb mittels einer so genannten „Nähe”.

(W. Schneider | 2008)

Kolorierte Lithographie, um 1860 | Quelle: "30 Werkstätten von Handwerkern..." von J. F. Schreiber | © Ch. Brandstätter VerlagKolorierte Lithographie, um 1860 | Quelle: "30 Werkstätten von Handwerkern..." von J. F. Schreiber | © Ch. Brandstätter Verlag

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