Das „Betreute Wohnen im Seniorenzentrum Oberreut” der Arbeiterwohlfahrt Karlsruhe in der Hermann-Müller-Würtz-Straße 4 ist heutzutage eine gute Adresse. Doch kaum jemand weiß, dass der Namensgeber der Straße im Jahr 1933 als Wasserleiche am Altriper Pegel geländet wurde. Ob die Todesursache auf einen Freitod im Rhein oder, was mittlerweile vermutet wird, auf einen Mord aus politischen Gründen zurückgeht, wird wohl immer ungeklärt bleiben.
Der Altriper Bürgermeister Carl Baumann hielt als Standesbeamter nach einer Mitteilung des Amtsgerichts fest: Tag und Stunde des Todes konnten nicht festgestellt werden. Der Tote war ein 55-jähriger Schlosser aus Karlsruhe-Daxlanden, dort seit 1914 bei der Stadt beschäftigt, von 1911 bis 1930 Stadtverordneter der SPD und ein engagierter SFD-Ortsvereinsvorsitzender. Nach der „Machtergreifung” der Nationalsozialisten wurde die Stadt gedrängt, ihn zu entlassen, weil er wiederholt kritische Zeitungsartikel gegen die „Nationale Bewegung” verfasst habe.
Tagelang wurde Müller-Würtz nicht mehr an seinem Arbeitsplatz gesehen, sondern wurde bei Altrip tot aus dem Rhein geborgen. 1991 wurde in Karlsruhe eine Straße nach ihm, als einem der ersten Opfer der Nationalsozialisten, benannt. Ob Mord oder Selbstmord sowie der Todeszeitpunkt war und ist bei vielen Wasserleichen schwer festzustellen, denn sie befinden sich lange unter Wasser und verwesen sehr schnell. Zuerst bildet sich eine so genannte Waschhaut an Händen und Füßen, dann fallen gar die Zehnägel ab. Wenn sie nicht früh genug entdeckt wird, so erfolgt nach zwei bis drei Monaten eine Umwandlung in Fettwachs.
Eine Identifizierung ist dann bei einer unbekleideten Leiche kaum mehr möglich. In Altrip blieben die Leichen einst bevorzugt im Bereich der bis Januar 1958 betriebenen Gierseilfähre hängen, wurden dann hochgetrieben oder knapp unter der Wasseroberfläche zumeist von Fuhrleuten gesehen und gegen eine Ländegebühr geborgen. Lange Zeit zogen die Fährpächter die Leichen auf die Altriper Rheinseite. Die jeweiligen Bürgermeister ärgerte dies ungemein, denn bei einer nicht identifizierten Leiche mussten sie ein Armengrab zur Verfügung stellen.
Im Gemeindearchiv gibt es grässliche Fotos von Wasserleichen, die bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind. Selbst wenn ein Kopf fehlte, so musste dies nicht unbedingt auf ein Gewaltverbrechen hindeuten. Hiltraud Oster erinnert sich, dass ihr Sohn als Zwölfjähriger zusammen mit anderen Buben beim Spielen in Höhe des „Faulen Ecks” im Rhein den Torso einer weiblichen Leiche entdeckte, der wohl an den dortigen Buhnen, den quer zum Rheinstrom aufgeschütteten Steinwällen, hängen blieb und an die Oberfläche kam. Der fehlende Kopf an der aufgedunsenen Leiche war wohl nach einer „Havarie” mit einer Schiffsschraube abhanden gekommen, denn die Frau war von der Speyerer Rheinbrücke in den Strom gestürzt.
Die Leiche wurde auf dem Altriper Friedhof beigesetzt und Hiltraud Oster erinnert sich noch, dass ihr Sohn tagelang keinen Bissen herunterbekam. Jahrelang hat sie das Armengrab gepflegt, wobei ihr der frühere Friedhofsgärtner Fritz Fuchs das Pflanzgut stellte. Der mittlerweile hochbetagte Gärtner weiß nur von einer erfolgreichen Obduktion in der alten Leichenhalle zu berichten. Damals wurde in Altrip ein Franzose an Land gezogen, der sich von der Straßburger Brücke in den Rhein stürzte und gut an seinem Holzbein zu erkennen war. In früheren Zeiten „gingen” auch viele Altriper, zumeist Frauen, aus Liebeskummer, Schande, Geldnot oder Schwermut in den nassen Tod.