Es ist guter Brauch, dass Menschen am Volkstrauertag der Verstorbenen beider Weltkriege gedenken. Doch vielen Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft wird nicht mehr persönlich gedacht, denn ihre Familien existieren nicht mehr. Ein Beispiel dafür ist die Familie des Altripers Hugo Eckstein.
Kriege wurden irrigerweise zumeist deshalb begonnen, weil am Ende etwas besser werden sollte. Ein besseres Leben hatte sich auch der 19-jährige Hugo Eckstein aus einem kleinen Weiler bei Blaubeuren versprochen, als er 1884 nach Altrip kam, hier Hauptlehrer an der Protestantischen Volksschule wurde und 1890 das Altriper Mädel Katharina Elisabeth Hook heiratete. Und in der Tat: Alles lief bestens. Eckstein war beliebt und angesehen im Dorf und das junge Paar freute sich über die gute Entwicklung der beiden Söhne Werner und Erwin sowie von Tochter Thekla, die als erste Altriperin in Mannheim das Abitur ablegte und Bibliothekarin wurde.
Doch schon bald wurde das Glück der Familie getrübt. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurden beide Söhne eingezogen und schon bald geriet Werner als Leutnant in englische Gefangenschaft. Dann kam die erschütternde Nachricht, dass der „Vizefeldwebel und Offiziersaspirant des 22. bayerischen Reserve-Infanterie-Regiments der 3. Maschinengewehr-Kompagnie, Erwin Eckstein, im Alter von 20 Jahren auf dem Mont Macesu (heutiges Rumänien) nach heldenhaftem Kampf durch Kopfschuss gefallen“ sei.
Trotz aller Gram der Eltern gab es auch einen Lichtblick: Sohn Werner kehrte gesund aus der Gefangenschaft zurück, ließ sich 1919 in Duisburg nieder, wurde Jurist und heiratete ein Mädchen aus Landstuhl. Gern hätten die „alten“ Ecksteins Enkel gehabt, doch Tochter Thekla dachte nicht ans Heiraten und bei Werner und Ida wollte sich partout kein Nachwuchs einstellen.
Doch dann kam der Zweite Weltkrieg. Werner musste wieder einrücken. Seine Mutter Katharina starb 1942 in Ungewissheit über das Schicksal ihres Sohnes. Oberleutnant Werner Eckstein kam nach Südtirol, nachdem die Wehrmacht dort am 8. September 1943 eingerückt war. Nahezu ein Jahr später, am 14. September 1944, wurde Werner Eckstein von Partisanen erschossen.
Die Altriper Eheleute Willi und Ruth Bonn („Zinke-Ruth“) entdeckten bei einem Urlaub in Sankt Johann sein Grab. Beide waren in den Dolomiten unterwegs und besuchten das Sellajoch, Grödnerjoch, Campolongo und fuhren auf der Sellarunde mit ihren vielen Kehren. Als sie vom Pordoijoch auf 2239 Metern Höhe auf einer geteerten Straße entlangkamen, sahen sie von Weitem eine große Rundmauer. Ihre Neugier trieb sie zu einem deutschen Kriegerehrenmal. Die Mauer entpuppte sich als ein 54 Meter langes Denkmal. 8582 österreichische und deutsche Soldaten des Ersten Weltkrieges sowie 847 Deutsche des Zweiten Weltkrieges fanden hier über den Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge ein in Stein gehauenes Andenken.
Durch Zufall las die Familie Bonn den Eintrag von „Werner Eckstein, geboren in Altrip ...“. Das Pordoi-Joch liegt genau auf der Grenze zwischen Südtirol und dem Veneto und ist Teil der sogenannten großen Dolomitenstraße zwischen Bozen und Cortina d‘ Ampezzo.
Die Erinnerung an das Grab des Altripers in solch hoher dünner Luft wurde wieder wach, als im Januar der Orkan Kyrill in weiten Teilen Europas das öffentliche Leben lahmlegte, gar 43 Menschenleben forderte und die Deutsche Bahn erstmals ein Fahrverbot auch auf Fernverkehrsstrecken verhängte.
In einer kleinen Mitteilung war zu lesen, dass Kyrill das schwere kupferne Dach der Krypta des Soldatenfriedhofes am Pordoi komplett abgedeckt und ins Tal geschleudert hatte. Um Wasserschäden zu vermeiden, beauftragte der Volksbund ein Unternehmen mit der sofortigen Dachabdichtung. Wegen der verschneiten Serpentinen konnte das Material jedoch nur per Hubschrauber transportiert werden.
Vater Hugo Eckstein starb übrigens 1950 und seine unverheiratete Tochter Thekla 1982. Nach fast 100 Jahren war somit die Altriper Familie Eckstein ausgestorben.
Der Volkstrauertag wurde durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 1919 angeregt und ab 1926 an Reminiscere (fünfter Sonntag vor Ostern) für die Opfer des Weltkrieges begangen. Von 1933 bis 1945 war er staatlicher Feiertag zum Heldengedenken und seit 1952 ist er ein gesetzlicher Feiertag am zweiten Sonntag vor dem ersten Advent. Gedacht wird aber nicht mehr nur den Gefallenen der Weltkriege, sondern auch allen Opfern von Gewaltherrschaft in der ganzen Welt.