Valentinian I., der 364 nach Christus zum römischen Kaiser proklamiert wurde, ist allgemein weit weniger bekannt als etwa Nero oder Caligula. Zu Unrecht! Er hatte sich weder um den kaiserlichen Purpur des Römischen Reiches gedrängt oder gar geputscht, sondern ihm wurde in Abwesenheit von Soldaten in Nicaea, nahe Konstantinopel, die Kaiserwürde angetragen.
Bis dahin war Valentinian, der in Afrika schon frühzeitig durch seinen Vater das Kriegshandwerk erlernte, ein weithin unbekannter Gardeoffizier. Für ihn sprach lediglich, dass er aus einer angesehenen Offiziersfamilie stammte, bereits unter drei Kaisern gedient hatte (Konstantin, Julian, Jovian) und unter dem Christenhasser Jovian standhaft an seinem christlichen Glauben festhielt und deshalb auf einen unbedeutenden Posten nach Theben versetzt wurde.
Valentinian galt zwar als grobschlächtig und von geringer Bildung, aber als ehrlicher Soldat. Und das wollten die römischen Soldaten, nachdem Julian nur drei Jahre und Jovian nur einen Winter lang regierte und das Weltreich vor großen militärischen Herausforderungen stand.
Nach seiner Ankunft in Nicaea wurde Valentinian wohl einhellig zum Kaiser proklamiert.
Obwohl er Katholik war, war er doch wohl etwas abergläubisch, denn er verkroch sich einen vollen Tag wegen eines Schalttages, der allgemein als Unglückstag galt. Doch am 26. Februar 364 übernahm er die Kaiserwürde. Und schon kurz darauf erhob er seinen Bruder Valens zum Mit-Kaiser. In seltener Einmütigkeit teilten beide das Reich in einen Ostteil (Orient), den Valens mit Sitz in Konstantinopel bekam und in ein Westreich (Occident), dem sich Valentinian widmete. Auch in das Heer und die Generäle teilten sich beide einvernehmlich. Alle Gesetze und Verordnungen galten in Ost und West gleichermaßen. Valentinian residierte zunächst in Mailand, später in Paris und schließlich frontnah in Trier.
Nur unter Valentinian I. genossen die Römer Religionsfreiheit
Mehr als 400 Gesetze aus seiner rund zehnjährigen Amtszeit sind bekannt und wurden später im Codex Theodosianus aufgeführt und betreffen nahezu alle Rechtsgebiete. Obwohl er Katholik war und sein Bruder Arianer, der in seinem Herrschaftsbereich gar die Katholiken bekämpfte, ließ er andere Religionen gelten. Goethe meinte hierzu: „Zwei sind es, die da boxen, die Arianer und die Orthodoxen!“. Selbst in seiner näheren Umgebung duldete Valentinian Heiden. In einem Toleranzedikt gewährleistete er ausdrücklich Religionsfreiheit. Niemals zuvor und nach Valentinian gab es im Römischen Reich eine solch große Religionsfreiheit.
Er führte erstmals eine öffentliche Krankenversorgung durch staatliche Armenärzte ein, kämpfte gegen die Korruption unter den schlecht bezahlten Staatsdienern, akzeptierte aber die sogenannten „Sporteln“, die diese für ihre Dienstleistungen verlangten. Er führte die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen wieder ein, war selbst sparsam mit den Finanzen und ging gegen Missstände in der Verwaltung und unter den Angehörigen des Senats massiv vor.
Die unteren Bevölkerungsschichten versuchte er vor Übergriffen der Besitzklasse zu bewahren. Er wandte sich gegen die bis dahin gesetzlich sanktionierte Aussetzung von Kindern in Tempeln oder vor den Türen reicher Leute. Eltern wurden verpflichtet ihre Kinder ausreichend zu ernähren und für eine Kinderaussetzung gab es harte Strafen. Und der heilige Martin, an dessen Barmherzigkeit mit der Mantelteilung sich jedes Jahr bei Laternenumzügen am 11. November die Kinder erfreuen, war bei Valentinian in Trier stets ein gern gesehener Gast, dem er alle Bitten für die Armen erfüllte.
Valentinian sicherte die Rheingrenze
Das größte Verdienst Valentinians ist zweifellos die Sicherung der römischen Rheingrenze. Dazu schuf er einen Kranz von Kastellen und Befestigungsanlagen von Rätien bis zur Nordsee.
Viele heutige Städte und Gemeinden wurden durch sein Wirken erstmals erwähnt, so etwa Basel, Breisach oder Altrip, das antike alta ripa. Den Bauplan für das Bollwerk alta ripa, am Zufluss des Neckars über ein Delta in den Rhein, hat er gar persönlich entworfen und sich 369 auch einige Wochen hier aufgehalten, um die Bauarbeiten zu kontrollieren.
In alta ripa hat er auch sonstige Regierungsgeschäfte erledigt, denn hier hat er auch ein Gesetz unterschrieben, und zwar am 19. Juni 369. Damit wurde die östlichste Gemeinde der Pfalz, Altrip, erstmals urkundlich erwähnt.
Als Valentinian 367 so schwer erkrankte, dass allgemein mit seinem baldigen Ableben gerechnet wurde, erhob er seinen Sohn aus erster Ehe mit Marina Servera, Gratian, zum Mit-Kaiser. Gratian war damals erst acht Jahre alt und Valentinian versuchte in mehreren Sitzungen ihm Prinzpien für seine Zukunft zu vermitteln. So etwa die Religions- und Gewissensfreiheit und vor allem Gerechtigkeit gegen jedermann.
Von seiner ersten Frau hatte sich der Kaiser übrigens getrennt, nachdem sie eine Immobilie viel zu günstig erstanden hatte. Er machte das unehrliche Rechtsgeschäft zudem sofort rückgängig. Nach seiner Scheidung heiratete er Justina, die Witwe des Usurpators Magnentius, mit der er den Sohn Valentinian II. sowie die Töchter Iusta, Grato und Galla hatte. Seine zweite Frau war insgeheim Arianerin, was sie aber mit Rücksicht auf ihren katholischen Mann bis zu dessen Tod geschickt verbarg.
Am unteren Neckar schuf Valentinian das Bollwerk alta ripa und ließ auch eine Schiffslände anlegen und in unmittelbarer Nähe im Land der Nemeter einen Hafen für die Rheinflotte. Überliefert ist auch der Bau einer Schiffsbrücke bei alta ripa. Von hier aus startete er sein Unternehmen in das östliche Barbarenland, um wieder an die alte Größe Roms anzuknüpfen und den Weg über Regensburg Richtung Konstantinopel zu verkürzen. Doch das Unternehmen misslang. An einer „mons piri“ genannten Stelle, unter der sowohl der Heiligenberg als auch der Heidelberger Schlossberg sowie weitere Orte wie der Bierhelderhof, Sinsheim oder Wiesloch vermutet werden, erlebten die Römer ein Waterloo. Als die Römer gerade damit beschäftigt waren ein Kastell anzulegen, wurden sie von den Alamannen entdeckt. Vergeblich wurden sie gebeten, von ihrem vertragswidrigen Tun abzulassen. Nachdem die Vorhaltungen nichts genutzt hatten, wurden alle Römer, bis auf einen Berichterstatter, niedergemetzelt.
Zwei römische Kaiser weilten zeitgleich in alta ripa
Nachdem Valentinian I. seinen Sohn Gratian als Mitregent eingesetzt hatte und für ihn als Lehrer einen der damals bedeutendsten Redner, Literat und Rhetorikprofessor, nämlich Ausonius, bestellt hatte, traten Vater und Sohn bei allen wichtigen Anlässen gemeinsam auf. So etwa auch bei Valentinians Strafaktion des Jahres 368 gegen die Alemannen an den Quellen der Donau. Natürlich hielt sich Gratian ob seines zarten Alters nicht in der vordersten Linie auf - aber er war stets dabei. Valentinian schenkte bei dieser Gelegenheit Ausonius das als Sklavin gefangene Germanenmädchen Bissula, der sie frei ließ und heiratete. Die Reisebeschreibung „Mosella“ des Ausonius wurde übrigens weltberühmt. Und auch sein Liebesgedicht von 368 an Bissula ging in die Weltliteratur ein.
369 ließ Valentinian aus Sorge vor einer Unterspülung seines Kastells alta ripa mit hohem technischem und personellem Einsatz die Neckarfluten kurzerhand umleiten. Zur Sicherung seines linksrheinischen Bollwerks ließ er rechtsrheinisch einen Burgus anlegen, was die dortigen germanischen Stämme ihm auch erlaubten.
Trotz seiner Kämpfe gegen die germanischen Stämme, die ihm den Beinamen „Alemannicus“ einbrachte, hat er in verstärktem Umfang nichtrömische Soldaten angeworben. So erfreute sich insbesondere die Oberschicht der Franken und Alemannen besonderer Vergünstigungen in den Söldnerverbänden. Der Kern des Feldheeres bestand meist aus germanischen Fußtruppen, ebenso die berittene Garde-Einheiten.
Wie tolerant Valentinian war, zeigt sich an der Tatsache, dass er Ausonius, der ein nicht christlicher Senator war, als Lehrer für Gratian akzeptierte. Ebenso war ihm der heidnische Historiker Amminian, ein gebürtiger Grieche, sowie Symmachus, einer der berühmtesten Redner der Spätantike genehm. Symmachus ließ er gar in seinem Namen Vorträge vor den überwiegend heidnischen Senatoren in Rom halten. Eine schwülstige Lobrede des Symmachus auf Valentinian über den Waffenplatz alta ripa, gehalten am 1. Januar 370, ist der Nachwelt erhalten geblieben. Es wäre sicher verwunderlich, wenn ausgerechnet bei einem wichtigen Vorhaben in alta ripa Gratian nicht dabei gewesen sein sollte. Mithin kann unterstellt werden, dass die beiden Augusti zeitgleich in alta ripa weilten.
Obwohl Valentinian die Rhein- und Donaugrenze nachhaltig sicherte und nach der Befriedung der aufständigen Stämme in Britannien dort zu seiner Ehre die fünfte römische Provinz „Valentia“ benannt wurde, aus der sich der heutige Name „Wales“ ableitet, gibt es wohl nur ein einziges Valentinian-Denkmal. In Barletta in Apulien soll die über fünf Meter hohe Panzerstatue „Il Colosso“ sein Standbild sein, was jedoch heute angezweifelt wird.
Das Bronzedenkmal, das einst in Konstantinopel stand, kam im 13. Jahrhundert nach Barletta. Es könnte aber auch Valentinian II. oder den III., eventuell auch Marcian zeigen. Sicher ist lediglich, dass jede Menge Münzen mit seinem Konterfei erhalten geblieben sind. Valentinian war zwar gelegentlich jähzornig und konnte auch regelrecht grausam sein, wenn man ihm widersprach, doch letztlich war er ein Neuerer und Beschützer seines Reiches. Und so bezog sich gar noch 1777 der damals so angesehene und einflussreiche protestantische Kirchenvertreter Wilhelm Abraham Teller in einer Ausarbeitung, die auch ins Französische übersetzt wurde, auf die von dem Katholiken Valentinian gewährte Religionsfreiheit und empfahl diese Lektüre den Landesherren zur Nachahmung.