Der Wetterbericht des Rundfunksprechers ließ am Freitagabend des 6. August 1954 ein sommerliches Wochenende erwarten. Die „Adrianer“, die Freunde des hiesigen Naherholungsgebietes freuten sich schon, obwohl ein Blick zum Himmel trübe Wolken zeigte. „Irgendwo wird es wohl ein Gewitter geben“, dachten die Altriper.
Doch schon wenige Minuten nach 21 Uhr wurde es plötzlich windstill, „rabenschwarz“ und sogleich legte ein Sturm der Stärke 12, begleitet von sintflutartigen Regenfällen, los. Statt der „gewohnten“ Hagelkörner fielen taubeneigroße Bällchen auf Altrip und Umgebung und verwandelte die Erde in eine Winterlandschaft.
Am stärksten wütete der Orkan in der Nähe des Rheins. Selbst 50 Jahre alte Platanen wurden dort „gefällt“, an der Gierfähre wurden zwei eiserne Buchtnachen ramponiert und setzten die Fähre außer Betrieb. Damals war die Gierfähre der Lebensnerv der Altriper, denn Zweidrittel der Pendler arbeiteten im Rechtsrheinischen.
Der Orkan wütete an jenem Abend so stark, dass ein Neubau zusammenstürzte, die Kegelbahn des vor der Eröffnung gestandenen Gasthauses „Zur Gliggermühle“ aus der Verankerung gerissen wurde und selbst ein über hundert Jahre alter „Pappelmethusalem“ am Altrhein wurde ein Opfer der Naturgewalt. Die zum Trocknen aufgehängten Netze des letzten Berufsfischers wurden zerfetzt und viele Straßen waren durch umgestürzte Bäume unpassierbar. Wasser drang in alle Keller und in viele Dachböden ein.
Gottlob hatten sich zu diesem Zeitpunkt die Badegäste der „Blauen Adria“ bereits nach Hause begeben, sonst hätte es ein regelrechtes Inferno gegeben. Viele Holzhäuschen im Naherholungsgebiet wurden durch die Wucht des Orkans über die Zäune geworfen und Strohballen auf den Feldern gar über 100 Meter weit durch die Luft gewirbelt.
Dem Altriper Schuldiener wurde der Orkan zum Verhängnis
Doch der 39jährige Schuldiener Kurt Müller fand nicht mehr rechtzeitig einen Unterschlupf und wurde in der Nähe des Wasserturms von einer Böe erfasst, gegen eine Wand geschleudert und verstarb an mehreren Schädelbrüchen. Müller hinterließ eine Frau und drei Kinder.
Wie beängstigend die Menschen die Situation fanden, schildert ein Erlebnisbericht von Aurelia Schneider, die wenige Wochen zuvor mit ihrem Mann die Wirtschaft „Zur Turnhalle“ gepachtet hatte: „Das Haus war proppenvoll, als das Unwetter ausbrach. Hagel und Sturm machten solch einen Lärm, dass man sich kaum verständigen konnte. Als der Strom ausfiel und es dunkel wurde, blieben die Männer bei den Gästen im Saal und die Frauen zogen sich in den Innenbereich im Obergeschoss zurück. Die Angst schürte uns fast die Kehle zu. Wir dachten es sei der Weltuntergang. Da wir keine Gläser hatten, rissen wir die Blumen aus den Vasen und tranken aus Angst daraus, weil uns das Geschehen die Kehlen austrocknete. Wir hatten weder Stearin-Kerzen noch Taschenlampen. Als sich das Unwetter endlich verzog, stellten wir fest, dass auf der Eingangstreppe ein großer Ast eines Kastanienbaumes lag. Die Gäste stürzten darüber hinweg ins Freie und liefen nach Hause, um zu sehen was der Sturm bei ihnen angerichtet hatte. Die ganze Arbeit und das herrliche Essen war also für die Katz´“.
Der älteste Einwohner, damals über 90 Jahre alt, der die Unwetter der Jahre 1911 und 1937 miterlebt hatte, zitterte am ganzen Leib und bezeichnete die Sommer-Sonnenfinsternis wenige Wochen zuvor als ein böses Omen.
Neuhofen erklärte Gemeinde zum Katastrophengebiet
Auch Neuhofen wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die gesamte Tabakernte war vernichtet. Und das Getreide, das wegen des schlechten Wetters noch auf den Feldern stand, fiel zu Dreiviertel dem Unwetter zum Opfer. Schrecklich waren auch die Verwüstungen im Wald und den Obstanlagen. Besonders am Unterwald, am Altrhein, die Pappeln am Reitplatz und am Damm wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen.
Im Ort gab es beträchtliche Gebäudeschäden. Zwei Dreschhallen stürzten ein. Ein Feldhüter, der in einer von ihnen Schutz gesucht hatte, kam beim Einsturz glücklicherweise mit leichteren Verletzungen davon. Fast kein Haus blieb vom Sturm und den Wassermassen verschont. Die frisch renovierte Empore des Volkshauses wurde schwer beschädigt.
Der gerade tagende Gemeinderat ließ das Debattieren und half tatkräftig mit, die gröbsten Schäden zu beseitigen. Der Bürgermeister erklärte die Gemarkung zum Katastrophengebiet, um etwaigen Plünderungen von Holz, Früchten und Obst vorzubeugen.
Noch in der Nacht kletterten in den betroffenen Gemeinden die Menschen auf ihre Häuser, um mit Planen die größten „Leckagen“ abzudecken. Altrips ehrenamtlicher Bürgermeister Philipp Hook wurde von seinem Sohn aus dem Urlaub geholt und sorgte sofort für eine Notration an Dachziegeln. Landrat Kurt Becker-Marx war anderntags bereits vor Ort, um sich die Schäden zu besehen und über die Bezirksregierung beim Land Hilfe einzufordern. Auch Landtagsabgeordneter Herbert Müller verschaffte sich einen persönlichen Eindruck.
Zwischen Waldsee und Altrip war der Mast einer Hochspannungsleitung geknickt und die Stromversorgung war gar im gesamten südlichen Landkreis ausgefallen. Die 70 Liter Wasser, die auf jeden Quadratmeter gefallen waren, setzten viele Äcker für längere Zeit unter Wasser.
Die größten Verluste erlitten zweifellos die Landwirte. Totalverluste gab es bei Hafer, Tabak und Obst. Für die reinen Tabakpflanzer in Waldsee war es daher eine regelrechte Katastrophe. Nur noch die Strünke der Tabakstauden ragten in den Himmel. Alles sah ziemlich unwirklich aus. Auch bei der wetterempfindlichen Hanfpflanze wurde jeglicher Versuch einer Rettungsmaßnahme aufgegeben.
Die ansonsten gottesfürchtigen Katholiken des Dorfes haderten mit dem Schöpfer, der sogar zuließ, dass auch noch das Kirchendach Schaden nahm.
Verzweifelt versuchten die Bauern das bereits geschnittene Getreide wieder aufzurichten, doch der Sturm hatte die Ähren schon weitgehend „ausgedroschen“. Die Kartoffelfelder sahen auch aus, als seien sie einer Schädlingsinvasion zum Opfer gefallen.
Aus Limburgerhof wurde von einer regelrechten „Mehlsuppe“ berichtet, denn der Mehlkeller einer Bäckerei war randvoll gelaufen.
Die Bahnlinie zwischen Ludwigshafen und Schifferstadt war von umgestürzten Telefonmasten übersät und verursachte eine Entgleisung eines Zuges, was zu mehrstündigen Verspätungen führte.
Im nahen Stadtteil Rheinau wurde gar eine 200 Tonnen schwere Verladebrücke von einer Böe erfasst und trotz vielfacher Verankerungen bis zum Ende des Gleises geschoben und dort umgeworfen. Vier offene Güterwagen schob der Sturm noch hinterher. Und unweit davon stürzte auch ein Fabrikschornstein ein.
Die Freiwilligen Feuerwehren leisteten tagelang übermenschlich Arbeiten und die Pfalzwerke hatten auch alle verfügbaren Kräfte zusammengezogen, um die Stromversorgung wieder in Gang zu setzen.
Obwohl sich der Landrat über drei Monate hinweg immer wieder für die Betroffenen einsetzte, sah das zuständige Ministerium keinen Grund für eine „Sonderbehandlung“ und lehnte im September 1954 alle Forderungen ab. Dabei laborierten besonders die 37 Altriper Landwirte noch an den Auswirkungen des vorjährigen Hochwassers.
Nachdem dann auch noch das Jahrhunderthochwasser des Folgejahres hinzukam und die Gemarkung lange Zeit unter Wasser setzte, gab es wenigstens zinsverbilligte Darlehen. Eine echte Hilfe war dies natürlich nicht.
Ein Blick in die Geschichte verrät übrigens, dass hundert Jahre zuvor, fast auf den Tag genau, Altrip ebenfalls von einem starken Gewitter mit Hagel und Sturm heimgesucht wurde. Auch damals wurde die Ernte binnen weniger Minuten vernichtet, Bäume entwurzelt und beladene Erntewagen umgeworfen. Und auch damals litten die Bauern noch an den Folgen der vorangegangen Hochwasserjahre mit folgender Teuerung und hohen Schulden.