Immer, wenn es Menschen in Not nach Deutschland zieht, werden die aufflammenden Einwanderungsdebatten oft so geführt, als wäre der gewollte oder ungewollte Zuzug von Ausländern ein völlig neues Phänomen. Dem ist aber beileibe nicht so …
Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren ganze Landstriche entvölkert und verwüstet. In Altrip waren von einst rund 215 Einwohnern im Jahre 1617 nur noch etwa zwei Dutzend Menschen übriggeblieben. In dieser Situation waren die Dorfbewohner froh über jeden Zuzug und über jede helfende Hand. Hilfe konnte praktisch nur aus dem Ausland kommen. Die Glaubenskämpfe in der Schweiz und Frankreich veranlassten dort viele Menschen, ihr Land zu verlassen, besonders in solchen Gegenden, in denen reformierte Glaubensbrüder wohnten.
Das Hauptkontingent der ausländischen Einwanderer stellte in Altrip die Schweiz. Die meisten kamen aus dem Berner Gebiet. Schon bald waren rund zehn Prozent der Einwohner Schweizer. Einige heirateten hier, andere schlugen jedoch keine Wurzeln, sondern zogen weiter oder verstarben hier einsam und verarmt. Die Schweizer Familiennamen wie etwa Grünewald, More, Warthmann oder Weyand sind ausgestorben. Am längsten, über vier Generationen hinweg, hielt sich bis 1941 die Schweizer Familie Schwitzgöbel. Aus Lothringen kam 1661 Hanß Provo, dessen Nachfahre Hermann Provo (1845-1918) die erste Altriper Ortschronik schrieb.
Nach dem Krieg 1870/71 stieg die Bevölkerung und der Kräftebedarf der aufblühenden Industrie enorm an. Allein vier Dampfziegeleien eröffneten in der Rheingemeinde ihren Betrieb. Doch viele Altriper arbeiteten in den rechtsrheinischen Industriebetrieben und so kam es, dass durch Anwerbung ab 1899 Italiener bei der Ziegelei Baumann die Arbeit aufnahmen. Zuerst kam nur ein Dutzend, doch schon 1901 waren von 297 Beschäftigten über 100 mit italienischem Pass. Sie trafen im März und April ein und arbeiteten bis September oder Oktober.
Die Arbeiter wohnten auf Firmengelände, abseits vom Dorf, und hatten kaum Kontakt mit der hiesigen Bevölkerung. Vielfach kamen mehrere Brüder einer Familie oder ganze Gruppen aus bestimmten Dörfern. Sie kamen aus St. Vito, Sesto und sogar aus Venedig. 1907 arbeitete beispielsweise als Spezialarbeiter der 60-jährige Prodorino Gnesutta bei den „Baumännern” und noch viele Jahre danach kamen jedes Jahr seine fünf Söhne zur Arbeit nach Altrip.
Doch die Politik machte immer öfters Vorgaben. So wurde 1916 auf den Vorrang von Österreich-Ungarn bei der Anwerbung verwiesen. Zur „Abdeckung” des Arbeitskräftebedarfs wurden auch Kriegsgefangene „zugewiesen”. Auf die tatsächlichen Belange der Betriebe wurde zu ihrem Leidwesen bei weitem nicht immer Rücksicht genommen.
Als etwa 1928 die Ziegelei Baumann eine Aufenthaltsgenehmigung für den vor dem Krieg beschäftigten Spezialarbeiter Alcide Gnesutta beantragte, lehnte dies der Altriper Bürgermeister Adam Jacob nicht nur wegen der großen Arbeitslosigkeit und der allgemeinen Wohnungsnot ab. Er war vor allem dagegen, weil „auch der (ablehnende) Standpunkt der deutschen Arbeiter zur Ausländerbeschäftigung zu beachten sei”.
Im sogenannten „Dritten Reich” arbeiteten in den Ziegeleien wieder Italiener, auch während des Krieges, ebenso wiederum ab den 1950er Jahren.
Zum Jahresende 2020 hatten die 7.008 Altriper mit deutschem Pass insgesamt 690 Nachbarn mit einem ausländischen Pass.