Mainzer Historiker erforschen mittelalterliche Bußbücher und die Schwere von Sünden
Mit öffentlichem Weinen und vielen Fastentagen versuchten die Menschen im Mittelalter, ihre Sünden wieder gutzumachen. Frühe Theologen hatten oft ganz detaillierte Vorstellungen von der richtigen Buße für jede konkrete Missetat.
Ganze Generationen christlicher Denker des Mittelalters zerbrachen sich die Köpfe über diese Frage: Wie sollen Christen für welche Sünden büßen? In speziellen Handschriften, den sogenannten Bußbüchern, hielten sie detailliert fest, welche Kirchenstrafe sie für welche Sünde angemessen hielten. "Viehdiebstahl, Meineid, Inzest und außerehelicher Geschlechtsverkehr - diese Bücher enthielten alles, was ein Mensch falsch machen konnte", sagt die Historikerin Birgit Kynast. Unter Federführung des Mittelalter-Experten Ludger Körntgen von der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität erforscht sie die Geschichte der Buße.
Der Kirche ging es weniger darum, in Zeiten ohne gut funktionierendes Gerichtswesen den Scharfrichter zu ersetzen. Es ging um das Seelenheil: "Tut nun Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden getilgt werden", heißt es schon in der biblischen Apostelgeschichte (3,19). Wegen nicht oder nicht richtig getilgter Sünden in die Hölle hinabzufahren und das ewige Leben zu verwirken, war für die meisten Zeitgenossen unvorstellbar.
Im 4. Jahrhundert nach Christus befasste sich erstmals ein Konzil damit, unter welchen Bedingungen ein reuiger Sünder nach einem Verbrechen wieder Teil der christlichen Gemeinschaft werden konnte. Für die Wiederaufnahme entwickelte die Kirche einen regelrechten Ritus.
"Es war wichtig, dass auch eine öffentliche Inszenierung stattfand", sagt Kynast, "man stellte sich im Büßergewand vor die Gemeinde, bekam Asche aufs Haupt gestreut und flehte die anderen tränenreich um Gebetshilfe an." Ursprünglich konnte jeder Gläubige nur ein einziges Mal Buße tun. "Deshalb haben sich viele erst auf dem Sterbebett taufen lassen", erklärt Körntgen. Wohl unter dem Einfluss des Mönchswesens habe sich das Verständnis von Sünden und Buße gewandelt. Bald musste jeder Christenmensch auch nach unbedeutenden Vergehen Buße leisten, allerdings weniger in der Öffentlichkeit.
Lebenslange Buße für Mord an Ehepartner
Vor allem mit Fastentagen konnte das eigene Seelenheil gerettet werden, und das notfalls auch mehrmals hintereinander. Frühe Kirchenrechtler stellten ganze Kataloge mit Tagessätzen auf. "Hast Du Dich aus Trunkenheit übergeben? Du sollst 15 Tage Buße tun", heißt es etwa im Sendhandbuch des Regino von Prüm aus dem 9. Jahrhundert. Wenn es sich um ein Wetttrinken handelte, erschienen dem Kloster-Abt aus der Eifel gleich 40 Tage angemessen. Die waren auch fällig, falls jemand bei einer Totenwache heidnische Lieder anstimmte. Bei manchen Sünden wie der Ermordung des Ehepartners musste lebenslange Buße geleistet werden.
Im Laufe der Zeit wurden die Vorschriften immer detaillierter, etwa durch Angaben, wie viele normale Fastentage durch einen Tag strenges Fasten ersetzt werden können. Neben einer Bibel sollte auch ein Bußbuch zur festen Ausstattung jedes Priesters gehören.
Klarstellung zur Blutrache
Bei der Gewichtung der Sünden waren sich die frühen Theologen allerdings keineswegs einig. Was für die Sünder zu Problemen führte: Nach damaliger Überzeugung konnten nämlich nur korrekt abgebüßte Sünden nach dem Tod vergeben werden. Mit der "falschen" Buße konnte ein Priester den Sünder also ins Verderben jagen.
Das Durcheinander äußerte sich zum Beispiel bei der Einstellung zu Tötungsdelikten, etwa Fällen von Blutrache. "Ältere Satzungen behandeln die gar nicht", sagt Kynast. Später hätten manche Bücher drei Jahre Bußzeit vorgeschrieben, andere sieben.
Der Wormser Bischof Burchard (um 965-1025), dem sich die Forscher in einem Langzeit-Projekt widmen, versuchte, Ordnung in das kirchenrechtliche Chaos der verschiedenen Bußvorschriften zu bringen. Seine Kirchenrechtssammlung fand von Worms aus in großen Teilen Europas Verbreitung. Zur Blutrache beispielsweise stellte er klar, dass solche Taten genauso zu behandeln seien wie jede andere Tötung.
Gleichbehandlung von Frau und Mann
Einige der mittelalterlichen Verfehlungen mögen für einen Menschen der Gegenwart äußerst grotesk klingen, etwa das Verbot, unkeusche Gedanken zu denken, Hirschmasken zu tragen oder von Juden zubereitete Speisen zu essen.
Doch in mancherlei Hinsicht waren Autoren wie Burchard vor 1.000 Jahren geradezu fortschrittlich: "Das Ungewöhnliche dieser Bußbücher ist, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden", sagt Körntgen. Zwangsverheiratungen und Frauenraub seien klar verurteilt worden. Und sogar gegen das Töten im Krieg gab es schon grundsätzliche Bedenken. Burchard von Worms argumentierte, selbst Heiden seien ein Abbild Gottes.
Relativ entspannt sah der Wormser Bischof Sünden wie Hexerei, Liebes- oder Wetter-Zauber. "Burchard hätte keine Hexen verbrannt", ist sich Ludger Körntgen sicher. "Das war für ihn im schlimmsten Fall Unglauben, meistens Dummheit."