Dass im Jahr 1912 die erste Buchhandlung in Altrip eröffnet hat, hängt eng mit der Lebensgeschichte von Thekla Ottilie Eckstein zusammen. Als erste Frau aus der Rheingemeinde hat sie das Abitur gemacht und eine Universität besucht. Um ihr das Lernen zu erleichtern, hat ihr Vater die Einrichtung einer Buchhandlung initiiert.
Für Thekla Ottilie Eckstein war 1912 das Studieren an einer Universität mit einigen Hindernissen verbunden. Ein Vollstudium oder gar eine Promotion, etwa in Medizin, war für eine Frau nicht möglich. Da sie aber das Abitur in Mannheim abgelegt hatte, bestand nach einem badischen Erlass die Möglichkeit zu einem probeweisen Studium an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. So hatte Thekla Eckstein die Möglichkeit Philologie zu studieren.
Doch die ungünstige Verkehrsverbindung von Altrip nach Heidelberg kostete Thekla Ottilie Eckstein so viel Zeit, dass sie die Universitätsbibliothek nicht ausreichend für ihr Studium nutzen konnte. Ihr Vater, der Hauptlehrer Hugo Eckstein, unterrichtete damals an der evangelischen Volksschule Altrip und war auf seine Tochter ganz besonders stolz. Er überredete den Spezereibesitzer Philipp Spickert dazu, sein Geschäft um eine Buchhandlung zu erweitern. Kunden waren damals zumeist nur die sieben Lehrer im Ort und die drei Eckstein-Kinder, die ihre Bücherwünsche zwecks Bestellung anmelden mussten. Die übrigen Dorfbewohner bedienten sich gewöhnlich in der Gemeindebücherei.
Der Weg nach Heidelberg war für Thekla Eckstein sehr beschwerlich: Täglich lief sie zur Fähre und setzte über – sofern die Fähre nicht gerade wegen Niedrig- oder Hochwasser pausieren musste. Am Bahnhalteplatz Altrip in Neckarau stieg die junge Frau in den Personenzug nach Mannheim, wo sie nach Heidelberg umsteigen konnte.
Oft wurden am Eingang zum Rheinauer Hafen Schleppzüge zusammengestellt, sodass die Fähre oft längere Zeit nicht verkehren konnte. In der dunklen Jahreszeit kam hinzu, dass Altrip noch kein elektrisches Licht hatte und die wenigen Gaslaternen vom Laternenanzünder nicht immer alle angezündet wurden. Dann musste Thekla Ottilie Eckstein in der Dunkelheit zur Fähre laufen.
Doch die Altriperin ließ sich nicht beirren, immerhin war es ihr sehnlichster Wunsch, zu studieren. Doch die widrigen Verkehrsverhältnisse, verbunden mit dem hohen Zeitverlust, den Gefahren in der dunklen Jahreszeit sowie die schlechten Lernmöglichkeiten zu Hause bei einer Petroleum-Funzel, ließen sie nach mehreren Semestern beinahe resignieren. Unterstützung bekam die Studentin von einem ihrer Professoren, dem Philologen, Astronomiehistoriker und Bibliothekar Franz Boll. Er ermunterte sie, Bibliothekarin zu werden. Dazu ging Thekla Ottilie Eckstein nach Leipzig.
Doch der Erste Weltkrieg setzte der jungen Frau sehr zu. Als kurz vor Weihnachten 1916 ihr Bruder Erwin im Alter von 20 Jahren als hoffnungsfroher Offiziersaspirant und Träger des Eisernen Kreuzes auf dem Mont Macesu im heutigen Rumänien ums Leben kam, zehrte dies sehr an ihren Nerven. Hinzu kam, dass ihr Bruder Werner als Leutnant in englische Gefangenschaft geriet und die „Blutpumpe von Verdun“, wie sie häufig zu sagen pflegte, in jenem Jahr binnen zehn Monaten 700.000 Tote und Vermisste forderte. Von diesem Trauma erholte sich die Altriperin nie mehr. Ihr Lieblingsbruder Werner kam zwar nach dem Ersten Weltkrieg gesund aus der Gefangenschaft zurück, musste aber im Zweiten Weltkrieg wieder an die Front. 1944 wurde er in Südtirol von Partisanen erschossen.
Thekla Ottilie Eckstein bewohnte nach dem Tod ihres Vaters 1950 ihr großes, frei stehendes Vaterhaus ganz allein und lebte sehr zurückgezogen. Nachts brannte bei ihr immer Licht, und sie las jede Menge Bücher und Zeitungen, die sich meterhoch im Wohnzimmer stapelten.
Auf ihren Beruf war Thekla Ottilie Eckstein sehr stolz, zumal – wie sie gerne erzählte – auch Johann Wolfgang von Goethe jahrelang in Jena Bibliothekar gewesen sei. Im Ort galt sie als sehr freundlich und gebildet. Gern war sie beim Aufsetzen von Behördenbriefen behilflich. Thekla Ottilie Eckstein starb 1982 im Alter von 90 Jahren.