Seit Menschengedenken wanderte der Rhein vor der Rheinregulierung ständig zwischen den Hochgestaden (s. Bild) in einer Breite von bis zu 4 km hin und her. Die Anliegergemeinden nutzten den Strom und die Uferbereiche für Fischerei, (Vogel-)Jagd, Weidewirtschaft, Holzschlag und Goldwäscherei. Die Hochwasser brachten aber auch für die Anrainer Zerstörung und Tod.
Die älteste Rheinkarte stammt von Ptolemäus aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Eigentliche Rheinlaufkarten entstanden erst ab dem 16. Jahrhundert. Diese waren aber noch nicht sehr detailliert. Etwas genauer waren die Karten des 17. und 18. Jahrhunderts, die während der kriegerischen Konflikte für Militärzwecke entstanden. Diese Karten waren meist in Ost-Westrichtung ausgerichtet. Jede dieser Karten stellt jedoch nur eine Momentaufnahme des Rheinverlaufs dar, weil sich das Flussbett ständig verlagerte.
Was waren die Ursachen für die Verlagerung des Flussbettes? Dies hat im wesentlichen zwei Gründe. Die Seitenerosion bringt eine langsame, aber stetige Änderung je nach Fließ-Geschwindigkeit und Wassermenge. Durch Hochwasser erfolgen abrupte und einmalige Veränderungen. Bei Überschwemmungen suchte sich der Fluss den kürzesten Weg und damit zeitweilig ein neues Flussbett.
Die Seitenerosion entsteht durch die Zentrifugalkraft des Wassers. Aufgrund von Verwirbelungen ist die Strömung (s. Bild) im äußeren Kurvenbereich schneller als im Innenbereich. Eine ähnliche Wirkung kennt man auch im Flugzeugbau an den Tragflächen. Da die Luft über die gekrümmte Oberseite schneller strömt, bekommt das Flugzeug Auftrieb.
Die schnellere Strömung trägt an der Außenseite (Prallhang) Material ab. Stromabwärts wird es an der Innenseite (Gleithang) wieder abgelagert. Somit beginnt der Fluss zu pendeln und es bilden sich so genannte Mäander. Dabei schwingt der Mäanderbogen immer weiter aus, während der Hals sich soweit verengt, bis der Fluss an der engsten Stelle durchbricht und wieder den direkten Weg sucht.
Der abgeschnürte Mäander entwickelt sich nach und nach zu einem Stillwasser. Er verlandet über eine Moorbildung bis hin zu einem fruchtbaren Boden. Dieser Prozess hat sich am Rhein in den letzten Jahrtausenden stets wiederholt, so dass wir mehrere Mäandergenerationen unterscheiden können. Der genaue Rheinlauf lässt sich aber dadurch nicht rekonstruieren.
Die ständigen Verlagerungen des Rheins (s. Karte) führten im Laufe der Jahrhunderte zu Ortsverlegungen, wie z. B. Knaudenheim, das nach seiner Umsiedelung (1758-1761) Huttenheim genannt wurde. Andere Beispiele für Verlegung von Orten sind Alt-Wörth, Alt-Daxlanden, Alt-Potz und Dettenheim. Nach den verheerenden Hochwasser 1784 und 1824 wurde auch in Altrip überlegt, den Ort am rechten Rheinufer neu zu gründen.
Es gab verschiedene Möglichkeiten, den Landverlust zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Das waren zum einen Dämme, die zum Teil mit Faschinen verstärkt wurden. Faschinen oder später Steinpflasterungen wurden an den Prallhängen bei Niedrigwasser verlegt, um ein weiteres Abtragen des Ufers zu verhindern. So eine Pflasterung mit Sandsteinen (Bauzeit vor 1850) ist in Altrip an der Klamm entlang (vom „Faulen Eck“ bis in Höhe der Spitze der Horreninsel) heute noch, fast ganz erhalten, zu sehen.
Weiter wurden sogenannte „Kribben“ (s. Bild) verbaut, um die Strömung vom Prallhang abzuleiten. Diese wurden aus Holzbalken, bei stärkeren Strömungsbedingungen aus Steinen gefertigt und mit Erde oder Steinen ausgefüllt. Da sich dadurch die Strömungsverhältnisse auf der anderen Seite des Flusses veränderten, kam es beim Bau dieser Schutzvorrichtungen oft zu langen Streitereien und Prozessen. Zwischenzeitlich hatte Vater Rhein schon wieder für ganz andere Verhältnisse gesorgt und die Angelegenheit verlief im Sand. Die Buhnen heutzutage dienen dazu, die Fließgeschwindigkeit bei Niedrigwasser in der Fahrrinne so hoch zu halten, dass das Geschiebe (Sand und Kies) abtransportiert wird. Dadurch ist die Fahrrinne weiter für die Schifffahrt benutzbar.
Außerdem musste bei größeren Bauten die Genehmigung des Pfalzgrafen eingeholt werden. Die wurde aber selten erteilt, da das neu angeschwemmte Land (Anlage) von der Kur-pfälzischen Hofkammer in Besitz genommen wurde. . So entstanden die „Alten Anlagen“ von 1596-1685 und die „Neuen Anlagen“ von 1685-1779. Noch 1770/71 wagte es der Speyerer Bischof nicht, zur Verhinderung weiterer Rheinschäden an der Huttenheimer Gemarkung eigenmächtig Uferschutzbauten herstellen zu lassen.
Dies war nur ein Recht von vielen, das der Pfalzgraf für sich in Anspruch nahm. Als „Dominus Rheni“ (Herr des Rheins) beanspruchte er auf der Strecke von Selz (Elsass) bis Bingen auf dem gesamten Strom die sogenannten Rheinregalien (Schiffer- und Fischrechte, Salm-, Gold- und Vogelgründe, Inseln und Anlagen, Jagden, Leinpfad, Geleit, Baumaßnahmen u.s.w.).
Zur Feststellung der von ihm beanspruchten Rechte ließ der Rheingraf in unregelmäßigen Abständen im 15.-18. Jahrhundert Rheinbefahrungen durchführen. Anhand von Landkarten (die längste ist 12m lang) und Protokollen kann man sich auch heute noch ein Bild von den damaligen Verhältnissen machen. Allerdings sind weder die Jahreszeiten noch die Wasserstände zum Zeitpunkt der Befahrungen vermerkt. Die für Altrip bedeutsamen Protokolle sind die von 1575, 1580 und 1590.
Im Protokoll von 1575 ist vermerkt, dass die Rheinschlingen beim Seckenheimer Ried nicht mehr als 70 Ruten auseinander sind. Herr Probst gibt in dem Buch „Seckenheim“ die Entfernung mit 290m an, obwohl nach seinen Aufzeichnungen die Rute (bis 1810) 3,24m betragen hat. Dies würden aber nur 227m ergeben.
In Fachbüchern wurden 6 verschiedene Rutenarten gefunden. Die längste ist die Nürnberger Rute mit 4,86m. Sie wurde bei der Grenzsteinsetzung 1779 verwendet. Der Meter als internationales Längenmaß wurde erst 1871 eingeführt. Auch Historiker konnten nicht sagen, welches Längenmaß den 70 Ruten zugrunde liegt.
Was könnte uns die genaue Entfernung der Rheinschlingen sagen? Anhand der durchschnittlichen Fließgeschwindigkeit könnte man die fortschreitende Seitenerosion und den ungefähren Zeitpunkt berechnen, wann die Schlinge abgeschnitten wurde. Aufgrund der ungenauen Entfernungsangabe (227m-340m) würde eine Berechnung zu erheblichen Unterschieden führen.. Aber es gibt noch weitere Indizien für eine ungefähre Datierung.
Die Rheinbefahrung im Jahre 1580 führte noch um das Seckenheimer Ried herum. Im gleichen Jahr empfahl die Rheinkommission eine Durchschrotung (Durchstich) der Schmalstelle. Da inzwischen 5 Jahre seit dem letzten Protokoll vergangen waren, dürfte die Entfernung weniger als 70 Ruten betragen haben. Allerdings finden sich weder in Altriper noch in Seckenheimer Unterlagen Hinweise auf einen Eingriff in den Stromverlauf. Die Schlingen um das Seckenheimer Ried werden im 1590er Protokoll als durchbrochen erwähnt. Doch einen Hinweis auf den genauen Zeitpunkt gibt es nicht . Manche Historiker haben sich auf einen Rheindurchbruch kurz nach 1580 festgelegt. Dies trifft aber nicht zu. Anhand der Protokolle kann der Zeitpunkt auf 10 Jahre (1580-1590) eingeengt werden.
Rudolf Wihr und nachfolgende Hobbyhistoriker haben sich fälschlicherweise beim Rheindurchbruch auf das Jahr 1584 festgelegt. Sie beziehen sich auf einen Bericht von David Pareus (s. Bild), der von 1548 bis 1622 gelebt hat. Der Text lautet wie folgt:
„Unser Rhein hat innerhalb von 12 Jahren seinen Lauf nicht fern von dem Dorf Altrip in bedeutender Weise geändert, dadurch, dass ein Damm eingebrochen ist, welchen ich selbst im Jahre 1584 gesehen und mit ungefähr 200 Schritten abgemessen habe, so dass man jetzt auf einem zweiten Flusse fahren und einen geraden Lauf innehalten kann. Es ist eine Insel liegen geblieben, die sie früher als Halbinsel in großem Bogen zu umfahren gezwungen waren.“
Was sagt uns das, wenn wir den Text aufmerksam lesen und die Aussagen getrennt betrachten?
- Herr Pareus war 1584 in Altrip und hat einen Damm gesehen und abgemessen. (1 Schritt = 71-75cm, d.h. der Damm war 142-150m lang)
- 12 Jahre später, also 1596, war bei seinem zweiten Besuch der Damm durchbrochen.
- Zu diesem Zeitpunkt gab es zwei Flüsse. Das Seckenheimer Ried war eine Insel.
- Man konnte also 1596 sowohl dem geraden Lauf als auch der Schleife folgen.
Diese These hat bereits Herr Wolber in der „Neckarauer Heimatglocke“, Juni 1938, vertreten und den Rheindurchbruch auf das Jahr 1596 datiert.. Auch Herr Albert H. Keil hat in seinem Beitrag bei Wikipedia (Januar 2006) auf diese Punkte hingewiesen. Er war der Meinung, die Jahreszahl 1509 (statt 1590) sei durch einen Zahlendreher entstanden .
Anhand der Protokolle und des Berichts von Pareus kann man den Durchbruch auf den Zeitraum nach 1584 und vor 1590 einengen. Aber hat der Rhein ab diesem Zeitpunkt dauerhaft den neuen Weg eingeschlagen? Das muss bezweifelt werden. Welche Kriterien legt man beim Durchbruch zugrunde?
- Wann nahm der Rhein zum ersten Mal die Abkürzung ?
- Wann erfolgte der Durchbruch, verursacht durch Seitenerosion und Hochwasser ?
- Ab wann ist der Durchbruch durch Verlandung der Seitenarme dauerhaft als Flussbett anzusehen ?
Zu 1:
Es ist eine Tatsache, dass sich das Hochwasser bei einem mäandrierendem Fluss immer den kürzesten Weg sucht. Also ist auch hier davon auszugehen, dass der Rhein schon vor 1580 sein altes Bett bei Hochwasser verlassen hat. Im Protokoll von 1580 ist dies schriftlich festgehalten: "Horrer wörth. ... Wann aber der Rhein etwas groß, geht der Rhein zum teil zwischen hin ..." Ob dies aber bereits 1509 der Fall war, kann nicht nachgewiesen werden.
Zu 2:
Wie bereits oben angeführt, muss der Durchbruch nach 1584 und vor 1590 erfolgt sein. Allerdings kann man davon ausgehen, dass der Flusslauf noch eine ganze Weile, je nach Wasserstand, zwischen altem und neuen Lauf gewechselt hat. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch Hanß G. Voltz in seinem Aufsatz über das Seckenheimer Ried („Neckarauer Heimatglocke“, Juni 1938). Er schreibt: „Vielleicht hat der Rhein bei einem Hochwasser um diese Zeit (1509) mit einem Teil seines Wassers zum ersten Mal einen neuen und kürzeren Weg durch das Ried gesucht und gefunden, und hat beim Zurückgehen des Hochwassers doch sein altes Flussbett beibehalten. Die Durchnagung des Rieds dürfte nur allmählich und zwar immer bei Hochwasser (Anmerkung: und durch Seitenerosion) erfolgt sein. Es ist kaum denkbar, dass der Rhein den Durchbruch durch das weite Riedgelände in kürzerer Zeit geschafft hat.“ Noch ein Beispiel aus der Rheinkorrektur durch Tulla: Als Durchstich wurden nur 20 bis 24m breite „Leitgräben“ gegraben. Den Rest der Arbeit hat Tulla der Zeit und dem Fluss überlassen. Nach 3 bis 10 Jahren (Durchstich Angelhof: über 50 Jahre) hat der Rhein die Durchstiche selbst auf 200 bis 250m Breite ausgewaschen. Dies beweist, dass es nach einem natürlichen Durchbruch noch eine ganze Weile dauerte, bis das neue Bett auch bei Niedrigwasser benutzt wurde.
Zu 3:
Wie bereits zu 2. ausgeführt, war die Verlegung des Rheinstroms ein langwieriger Vorgang. Beim zweiten Besuch von Herrn Pareus im Jahre 1596 waren die Seitenarme noch mit dem neuen Bett verbunden. Da die Seckenheimer weiterhin das abgetrennte Hintere Ried bewirtschafteten, muss der Wasserstand im neuen Flussbett nicht sehr hoch gewesen sein. Längere Zeit dürfte eine Furt bestanden haben. Nachdem sich der Rhein ein tieferes Bett gegraben hat, war eine Fähre erforderlich. Diese wurde 1607 von der Kurpfälzischen Hofkammer genehmigt und später vom Riedschützen betrieben. Von der Anlegestelle (Grenzstein N 3 ½, 1779) führte direkt ein Weg zum Hof des Riedschützen (heutiger Eulenhof). Auf einer Landkarte von 1666 ist ersichtlich, dass die Seitenarme verlandet sind. Wann dieser Vorgang abgeschlossen war, bleibt wohl wie so manches andere ein Geheimnis. Aus diesem Grund habe ich in der Überschrift keine konkrete Jahreszahl für den Rheindurchbruch bei Altrip angegeben.
Zum Schluss noch einige Beobachtungen, die der Verfasser während des Hochwassers gemacht hat. Wenn der Rhein aus seinem steinernen Bett steigt, sucht er sich seine alten Wege. Er trifft dann an der Klamm auf den mit Sandsteinen befestigten Prallhang. Dort, wo die Befestigung beseitigt oder nur notdürftig geflickt ist, nagt Vater Rhein immer noch an seinem alten Bett und verursacht Erosionen. Anschließend strömt er mit Macht den Prallhang entlang wieder in sein Bett zurück, wie man es am „faulen Eck“ beobachten kann.
An der „Dunnerswiese“ geht östlich ein Waldweg entlang. Für aufmerksame Beobachter ist erkennbar, dass dort Grenzsteine aus dem Boden lugen. Dies bedeutet, dass 1779 das Geländeniveau an dieser Stelle 80-100cm tiefer war. An der nördlichen Ecke war die Fähranlegestelle der „Seckenheimer Riedt fahr“. Hier ist auch die Durchbruchsstelle des alten Rheins. Wenn das Hochwasser den Waldweg erreicht hat, läuft es genau in der Mitte der „Dunnerswiese“ keilförmig in Richtung Damm. Es kommt einem dann vor, als wolle der Vater Rhein uns sagen: „Hier habe ich mein altes Bett gefunden.“
(Edgar Alt | 2008)
Verwendetes Material:
- Landkarten aus vier Jahrhunderten, GLA Karlsruhe, Mai 1986
- Seckenheim, Hansjörg Probst, 1981
- Einführung in die Geologie Deutschlands, Henningsen/Katzung, 2002
- Mitteilungen des hist. Vereins der Pfalz, 76.Band, 1978 (Aufsatz H. Musall)
- Überschwemmungen und Niedrigwasser am Rhein (1500-2000), Chr. Pfister, Bern
- Hochwasser am Rhein, Jörg Lange (ww.akwasser.de)
- Neckarauer Heimatglocke, Nr. 36, Juni 1938
- Pareus, David , von Albert H. Keil (Wikipedia)
- Das Rheinschiff Nr. 12, 1931 (www. Rheinschifffahrtsgeschichte.de)
- Zentralarchiv der Ev. Kirche der Pfalz, Pareus,David (Bildnis)
- Karte der Umgebung von Altrip aus dem Jahre 1666, Stadtarchiv Schwetzingen
- Heimat- und Geschichtsverein Altrip, Rheindurchbruch bei Altrip, W. Schneider
- Flussdynamik, Transport der Flüsse und Erosionsformen, Vorlesung von Prof. H. Fischer, erstellt von W. Henebichler, Universität Wien