"Von sehr edlen Eltern aus alta ripa, d.h. Altrip geboren"
So kennzeichnet eine Prümer Notizensammlung aus dem 16. Jahrhundert den einstigen Prümer Abt und hochangesehenen Gelehrten namens Regino, der das mit wachem und kritischem Blick miterlebte wirre Geschehen während der letzten Phase der Auflösung des Großfränkischen Reiches in seiner Chronik festhielt und der Nachwelt überlieferte. Auch wenn die Prümer Aufzeichnung erst aus der frühen Neuzeit stammt, so ist sie dennoch nicht unglaubhaft, weil damals noch schriftliche Überlieferungsstücke von Regino und über ihn, die heute verloren sind, existierten und in Humanistenschriften erwähnt wurden. Dass der junge Adlige gerade in Prüm ins Kloster eintrat, mag an den engen Beziehungen gelegen haben, die damals bereits seit langem zwischen Altrip und der Eifelabtei bestanden; denn schon 762 hatte ja König Pippin, der Vater Karls des Großen, die in seinem Eigentum stehende und dem Hl. Medard geweihte Zelle "Altrepio am Flusse Rhein im Speyergau" seinem Hauskloster Prüm übertragen.
Die Eintrittszeit Reginos in Prüm lässt sich ebenso wenig genau bestimmen wie sein Geburtsjahr, das wohl um die Mitte des 9. Jahrhunderts anzusetzen sein dürfte. Erstmals ist er zu 892 sicher bezeugt. Als nämlich in diesem Jahre das Niederrheingebiet und die Eifel von Normannenscharen verwüstet und dabei auch Prüm schon zum zweiten Male innerhalb von 10 Jahren - verheert worden war und der bisherige Prümer Abt Farabert die schweren Aufgaben nicht mehr meistern konnte und sein Amt mit königlicher Billigung niederlegte, da folgte ihm Regino - wie er es in seiner Chronik selbst mitteilt - nach einer der Benediktsregel entsprechenden Wahl der Klosterbrüder nach. Damit trat Regino in das helle Licht der Geschichte: beladen mit einer schweren Aufgabe und hoher Verantwortung.
Das politische Geschehen um ihn herum war alles andere als leicht überschaubar. Viele Kräfte wirkten da gegeneinander. Das muss man sich vergegenwärtigen. Gerade fünf Jahre vorher, im November 887, war das Großfränkische Gesamtreich, das Kaiser Karl lll., ein Urenkel Karls des Großen, nach verschiedenen Reichsteilungen weniger durch eine zielstrebige Politik, als mehr zufällig (wegen des frühen Todes seiner Brüder, Vettern und Neffen) noch einmal hatte vereinen können, in seine endgültige Auflösung eingetreten. Wie hatte es dazu kommen können? Nicht etwa erste, auf ein Entstehen des deutschen und des französischen Volkes hintendierende Entwicklungen hatten dies herbeigeführt; vielmehr hatten Erbstreitigkeiten innerhalb der karolingischen Dynastie und schicksalhafte Zufälligkeiten dahingehend gewirkt. Vor allem: Auch Kaiser Karl lll. war kinderlos geblieben, um seine von epileptischen Anfällen gezeichnete Gesundheit hatte es nicht mehr zum besten gestanden, und die Erledigung wichtiger Reichsaufgaben war notwendigerweise seit längerem schon, begünstigt durch den Familienstreit in der karolingischen Dynastie und durch die erforderliche Abwehr der das Reich bedrängenden Normannen, lokalen Kräften zugefallen, die dadurch ein eigenes Führungsprofil gewannen. Über die Nachfolgefrage, die unter solchen Umständen brennend geworden war, hatte sich zudem Karl lll. mit seinem Neffen Arnulf von Kärnten, einem illegitimen Sohn seines frühverstorbenen Bruders Karlmann von Bayern, überworfen, so dass dieser schließlich die Macht an sich gerissen hatte: Arnulf war Mitte November 887 zu einer nach Tribur bei Frankfurt anberaumten Reichsversammlung mit Truppenmacht gezogen und hatte die bereits anwesenden Großen, die ihrerseits schon in Erkenntnis der nur noch begrenzten Handlungsfähigkeit des Kaisers in Beratungen über die Nachfolge eingetreten waren, auf seine Seite bringen und um den 18. November 887 in Frankfurt schließlich seine Anerkennung als neuer König finden können. Dieser neue König hatte sich aber hinfort nur für den Ostteil des karolingischen Großfrankenreiches - einschließlich des alten Lotharingien - zuständig gesehen und den Westen (das spätere Frankreich), Burgund und Italien eigene Wege gehen lassen.
So musste sich also Regino zunächst auf den Ostreichskönig Arnulf von Kärnten ausrichten. Als diesem jedoch 893 - ein Jahr nach Reginos Abtswahl in Prüm - ein legitimer Sohn, Ludwig das Kind, geboren wurde, der einmal sein Nachfolger werden sollte, trat eine neue Situation ein, denn Arnulf zögerte nicht, für seinen ältesten illegitimen Sohn Zwentibold, der bereits das Mannesalter erreicht hatte, ebenfalls einen Herrschaftsanteil vorzusehen und dafür das alte Lotharingien auszusondern. 895 hat er dies gegen den anfänglichen Widerstand der Großen durchgesetzt. Reginos Heimat Altrip blieb dabei im Gefüge der "wegen des ergiebigen Weinbaus" schon bei der ersten karolingischen Reichsteilung 843 (im Vertrag von Verdun) an das Ostreich gekommenen Gebiete um Mainz, Worms und Speyer beim Ostreich Arnulfs, während sein Kloster Prüm danach mitten im erneuerten Regnum Lotharii lag. Die schon bald stärker aufbrechenden Spannungen im zunehmend selbstbewusster gewordenen Adel Lotharingiens hat der nun für Regino zuständige König Zwentibold nur kurzfristig in den Griff bekommen. Vornehmlich drei Gruppierungen standen da gegeneinander: Die Anhänger des im niederlotharingischen Maasgebiet stärker verankerten Grafen Reginar, die im Mittelmoselgebiet bis nach Metz mächtige Matfriedfamilie sowie eine sich stärker um den Erzbischof Ratbod von Trier formierende Gruppe. Ein Lavieren zwischen diesen Kräften, in das sogar der König des 888 erneuerten Westreiches - es war dies damals Karl mit dem späteren Beinamen der Einfältige - hineingezogen wurde, bewirkte keine Stabilisierung. Es führte vielmehr im Laufe des Jahres 900 zu König Zwentibolds Katastrophe. Im Kampf gegen die sog. Mittelmoselgruppe um die Grafen Gerhard, Matfried und Stephan verlor er am 13. August 900 an der unteren Maas Herrschaft und Leben. Lotharingien kam damit wieder an das Ostreich, zumal diese Grafengruppe und der Erzbischof von Trier sich schon vorher an den seit dem 4. Februar 900 als Nachfolger Arnulfs († 8. Dezember 899) im Ostreich regierenden jungen König Ludwig das Kind gewandt und ihm in Diedenhofen gehuldigt hatten. Da aber das königliche Kind eines handlungsfähigen Regentschaftsrates bedurfte, in dem die ostfränkischen Konradiner neben dem Erzbischof von Mainz den bestimmenden Ton angaben, mischten fortan freilich auch noch die Konradiner im lotharingischen Kräftespiel mit.
Bis zum Jahre 906 hat uns Regino dies alles in seiner 908 verfassten Chronik als Zeitzeuge und teils auch als Mitbetroffener geschildert. Es ist wirklich lesenswert, was er da aufzeichnete. Er vermittelt uns das Bild einer aufgewühlten, unruhigen Zeit, in der über weite Strecken Leitlinien der großen Politik beim Überhandnehmen der brutalen Adelsfehden und inneren Vormachtkämpfe um die seit den Tagen Karls des Großen nicht mehr gekannte, sich nun aber wieder etablierende Herzogsposition überhaupt nicht mehr erkennbar sind. Das bislang wie ein großes Familienerbgut aufteilbare Großfränkische Reich mit seiner das Reich noch nicht von der königlichen Familie abstrahierenden Staatsstruktur lag damals eben in seiner letzten Agonie; die Kräfte für einen Neuanfang mit einer anderen, auf die Mitträgerschaft des Adels - vornehmlich in der Form des Herzogtums - gestützten neuen Reichsauffassung, die das Reich als nicht mehr teilbar und als ein den internen Familienschicksalen nicht mehr unterworfenes Ganzes verstehen wird und nach der alle Stämme unter Aufgabe des Vorranganspruchs des Frankentums gleichwertig sein sollen, brauchten noch einige Jahrzehnte, um sich vollends durchzusetzen, was erst nach dem Tode Ludwigs d. K. († 911) und der nicht weniger unruhigen Zeit König Konrads I. (911-918) im Grunde genommen erst seit der Königserhebung Heinrichs I. (919-936) möglich wurde.
So fiel also Reginos Abbatiat in Prüm in eine schwere Krisenzeit. Er koppelte den Wiederaufbau seines Klosters nach der Normannennot mit Maßnahmen zur Sicherung des Besitzstandes. Hatte sich offenbar schon nach der ersten Klosterplünderung durch die Normannen 882 die Notwendigkeit ergeben, für den an der Zuidersee, am Niederrhein, in der Eifel, im Trierer Land und im oberen Moseltal zerstreut liegenden, ja sogar noch in der Bretonischen Mark (bei Angers) feststellbaren reichen Prümer Grundbesitz Güter- und Einkünfteverzeichnisse anzufertigen, und waren Klosterbeauftragte bereits in diesen verschiedenen Gebieten registrierend und Lage, Größe, Einkünfte und Dienstleistungen erfassend tätig gewesen, so hat dann Regino diese Vorarbeiten zielstrebig zu einem Abschluss gebracht. 893 hat er ein Gesamturbar des Prümer Besitzes erstellen lassen, das noch über Jahrhunderte für die Prümer Klostergrundherrschaft von großer Bedeutung war. Gleichwohl mag er sich damit - vor allem beim Adel der Umgebung, der vielfach Klostergüter in den damaligen wirren Zeiten an sich gebracht hatte nicht nur Freunde geschaffen haben. Denn - welche Ironie - gerade ungetreue Güterverwaltung wurde ihm bald von seinen Gegnern vorgeworfen.